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Mit Ende 30 fing ich an, Seminare zu besuchen, in „Gruppen“ zu gehen. Selbsterfahrung, Tantra, Familienstellen, Dynamische Meditation, Massage, Bonding. Oft gibt es Partnerübungen, zu zweit oder zu dritt. Nicht immer kann man sich die Menschen aussuchen. Das geflügelte Wort lautet: Jeder ist der Richtige. Ich spürte in mir: Das stimmt nicht. Es gibt eine gute und eine schlechte Wahl. Es gibt Partner, mit denen die Übung richtig gut ist. Und es gibt welche, wo das nicht so ist.

„Falsche“ Partner

Jetzt als Trainerin beobachte ich manchmal, dass sich in einer Übung zwei Männer gegenüber stehen. Sie haben es sich nicht ausgesucht, es kam so. Sie sind beim Berührungsabend, weil sie Frauen berühren möchten. Jetzt stehen sie aber vor einem Mann. Sie sollen ihn entweder anschauen, oder achtsam eine Hand auf die Schulter legen. Und dann sehe ich, dass sie sich ratlos, vielleicht auch innerlich bockig gegenüberstehen. Einer schaut auf den Boden, der andere an ihm vorbei. Nicht einmal Blickkontakt ist möglich für die wenigen Minuten, die diese Übung dauert. Mich macht das traurig.

Auf deine Grenzen achten

Und doch kenne auch ich diese Situation. Es ist völlig okay, sogar notwendig, auf seine Grenzen zu achten, auf seine Gefühle. Auszusetzen, wenn es nicht passt. Zurück zu treten, wenn es zu viel wird. Nicht zu allem bereit sein, sondern gut in sich hineinspüren, ob diese Übung jetzt gut für mich ist, oder ob ich sie für mich abwandle. Auch dazu lade ich alle Teilnehmenden immer wieder ein. Vor allem die, die ein Trauma, körperliche Gewalt, erlebt haben, leicht getriggert werden oder das befürchten. Hier ist diese Haltung überlebens-wichtig. Und hier ist ein geschützer Raum, der von einer Therapeutin gehalten wir, wo ich lernen, mich ausprobieren kann. Wo ich keine Rechenschaft ablegen muss. Wo ich mich mit niemandem, mit dem es schön und intensiv war, nochmal treffen muss. Mit niemandem eine nächste Übung machen oder in der Pause freundlich sein muss.

Ja-sagen und Nein-sagen

Je besser ich Nein sagen kann, um so leichter kann ich Ja sagen. Hinter Schutzwällen muss ich mich nur dann verstecken, wenn ich entweder wirklich bedroht bin oder wenn ich nicht klar Nein sagen kann. Der meiste Rückzug entsteht aus der (unbewussten) Angst oder der Erfahrung, nicht Nein sagen zu können. Lieber gleich weg bleiben, sich in keine kritische Situation begeben – das ist sicherer. Aber auch einsamer.
Wenn ich aber ganz klar Ja und Nein fühlen kann, und es schaffe, das auch klar zu kommunizieren? Dann kann ich auch ein Risiko eingehen. Etwas ausprobieren. Wenn es nicht gut ist, sofort einen Schritt zurückgehen. Wenn ich mich in einem geschützten Raum befinde, einer angeleiteten Gruppe.
Seit ich gut Nein sagen kann, kann ich mich in Seminaren besser in Situationen begeben, die emotional vielleicht „gefährlich“ für mich werden könnten. Mich mit vermeintlich „schwierigen“ Partnern erstmal ein Stück einlassen, ohne mich gleich abzuwenden. Und dann stimmt es wieder, dass Jeder der Richtige ist. Weil ich mit jedem meine Grenzen ausloten, erforschen, erweitern kann. Ich kann einfach ausprobieren, wie sich zum Beispiel ein Lächeln anfühlt, eine erste Berührung, eine Hand halten. In dem Wissen: Wenn es nicht gut ist, trete ich einen Schritt zurück. Aber ich probiere es erstmal aus und lasse meine Vorstellungen, meine Vorurteile ziehen, meine Projektionen auf diesen Menschen, den ich gar nicht kenne und glaube, nach dem Äußeren beurteilen zu können.
Dieses Übungsfeld ist so unglaublich wertvoll. Und ich habe schon viele positive Überraschungen erlebt.

Was tun?

Wenn es hart auf hart kommt, stehe ich bei einer wunderschönen Übung, einem wunderbaren Ritual einem Partner gegenüber, der mir nicht sympathisch ist. Natürlich kann ich gehen, oder bei der Partnerwahl gleich sagen, dass dieser für mich nicht in Frage kommt. Dann wird die Leitung, zusammen mit dem Team, eine Lösung finden. Aber jetzt sind wir zusammen.
Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Die „innere Emigration“, ich ignoriere den anderen so gut es geht, mache widerwillig nur das Allernötigste und hoffe, dass die Übung bald vorbei ist. Schaue mich im Raum um und ärgere mich, dass die anderen es schön haben. Das ist eine Möglichkeit.
Die andere ist: Ich lasse mich ganz auf diesen Menschen ein. Sehe den verletzten Menschen in ihm, der auch ich bin. Sehe den wertvollen Menschen in ihm, der auch ich bin. Wir haben viel gemeinsam. Ich entscheide mich, diesem Menschen jetzt, in diesen Minuten, meine ganze Liebe und Wertschätzung zu schenken. Nur für diesen Moment. Weil wir beide Menschen sind, die Zuwendung brauchen. Ich entscheide mich, ihm jetzt Gutes zu tun, ganz bei ihm zu sein mit meiner Aufmerksamkeit, meiner Achtsamkeit. Und natürlich achte ich meine Grenzen. Eine Hand achtsam aufzulegen geht für mich, ich würde mal sagen, immer. Und es verpflichtet mich zu nichts. Hier ist der Mensch, der mir für diese Übung geschenkt wurde.
Ich kann diese Zeit nutzen, oder ungenutzt und unwillig verstreichen lassen. Ich habe die Wahl.